Unter scharfer Gewalt versteht man
Einwirkungen von Werkzeugen mit Klingen bzw. klingenartigen
Gegenständen auf den menschlichen Körper, sodass Verletzungen
entstehen. Durch einige Werkzeuge ohne Klingen können besondere Formen
scharfer Gewalt auftreten.
In Hinblick auf die
Befundmuster können die Verletzungsinstrumente eingeteilt werden in:
Werkzeuge
mit Klingen bzw. klingenartige Gegenstände: Die meisten Klingen
haben sowohl Schneide als auch eine Spitze, d. h., sie sind als
Schneid-und
Stichwerkzeuge einsetzbar. Seltener sind reine Schneidwerkzeuge.
mit geringer
Masse: z. B. Messer, Scheren, Rasierklingen, Glasscherben, scharfe
Blechkanten
mit hoher Masse: z. B. Beile,
Äxte, Räder von Schienenfahrzeugen, Schiffsschrauben.
Werkzeuge ohne Klingen: spitze
Instrumente, z. B. Punktions- und Stricknadeln, Spieße,
Kugelschreiberminen, Gabeln, Schraubendreher, Bohrer, Sägen.
Verletzungen
durch scharfe Gewalt werden selbst oder durch fremde Hand beigebracht.
Unfälle sind selten.
Biomechanische
Grundlagen Besonders bei Schnitt- und
Stichverletzungen stehen die Zusammenhangstrennungen der Gewebe und
Organe im Vordergrund. Zugspannungen sind nicht von Bedeutung. Daher
finden sich im Innern der Wunden keine Gewebsbrücken und die Wundränder
sind nicht unterminiert. Verletzungen durch scharfe Gewalt treten im
Gegensatz zu Riss-Quetschwunden am gesamten Körper auf, da für ihre
Entstehung ein knöchernes Widerlager keine Voraussetzung darstellt. Scharfe
Werkzeuge mit hoher Masse können an der Haut neben den Befunden durch
scharfe Gewalt gleichzeitig auch solche durch stumpfe Gewalt
verursachen. Die Durchtrennungsränder werden gedehnt und über die
Klingenblätter gezogen, woraus saumartige Schür fungen und in der
Umgebung Dehnungsrisse resultieren. Zerreißungen des angrenzenden
Gewebes kommen vor. Werkzeuge wie Bohrer und Sägen führen zu
Substanzverlusten.
Schnitte Schnittwunden
entstehen durch tangentiale, teils parallele Einwirkung von
Schneidwerkzeugen auf die Körperoberfläche. Dabei werden Haut und
Unterhaut, seltener die Muskulatur und die darunterliegenden Organe
bzw. Knorpel und Knochen verletzt. Schnittverletzungen werden am
häufigsten infolge von Selbstbeibringung beobachtet, gelegentlich bei
Unfällen, durch fremde Hand werden sie nur selten gesetzt.
Äußere
Wundmerkmale
Wundränder: glatt, ohne
Schürfungen oder Hämatome. Auch Klingen mitWellenschliff
können zu glatten Wundrändern führen. Durch Glasbruch entstandene
Wunden können Zacken an den sonst glatten Rändern aufweisen.
Wundformen:
Häufig besteht ein linienartiger bzw. spaltförmiger Verlauf. Je nach
Bezug der Verletzungen zu den Spaltlinien der Haut können die Wunden
klaffen.
Wundwinkel: beidseits spitz, dieWunden
laufen häufig in den Winkeln ritzerartig in der Epidermis aus.
Innere Wundmerkmale
Wundränder: Sie sind völlig
glatt.
Sondierbarkeit: gering, da die
Wunden überwiegend flach sind.
Für Wunden infolge scharfer
Gewalt gilt:Ist das
Verhältnis der Länge einer Hautwunde zur größten sondierbaren
Tiefe > 1, handelt es sich um eine Schnittwunde. Ist dieses
Verhältnis < 1, liegt eine Stichwunde vor.
Selten bestehen
kombinierte Schnitt-Stichwunden, die ein Längen-Tiefen-Verhältnis um 1
aufweisen.
„Pulsaderschnitte
“ „Pulsaderschnitte“ sind zwar die häufigsten
Verletzungen bei Suizidversuchen, zum Tod führen sie aber
selten (BRD im Jahr 2006: 102 registrierte Fälle). Typische
Merkmale sind:
Ein
tiefgreifender Schnitt Meist besteht an der
Beugeseite des Handgelenks nur ein quer verlaufender tiefgreifender
Schnitt. Selten erfolgt die Schnittführung in Längsrichtung. Tiefere
Schnitte können die A. radialis, seltener die A. ulnaris durchtrennen.
Da es sich um Arterien vom muskulären Typ handelt, kann es zur
Retraktion der Gefäßenden kommen, wodurch ein schnelles Verbluten
verzögert wird.
Probierschnitte
am Handgelenk Oft werden mehrere, zum tieferen
Schnitt parallel verlaufende oberflächliche Hautschnitte gesetzt. Davon
können einzelne durch die Subkutis bis in die Muskulatur
reichen. Häufig werden Venenäste durchtrennt. Wegen des positiven
Venendrucks im Bereich der Arme ist die Gefahr einer Luftembolie nicht
gegeben. Manchmal bestehen zusätzlich Hautanritzungen in anderen
Körperregionen.
Todesursächliches Verbluten ist
möglich, wenn eine der großen Arterien zumindest eröffnet ist.
Halsschnitte Im
Jahr 2006 wurden in Deutschland 51 Suizide durch Halsschnitt erfasst.
Noch seltener sind Halsschnitte bei Tötungsdelikten. Für Suizide ist
charakteristisch:
Ein
tiefgreifender Schnitt Dabei handelt sich
zumeist um die tödliche Verletzung. Sie verläuft bei Rechts händern oft
am Hals von links oben nach rechts unten. Dadurch können
Kehlkopf, Venen oder Arterien eröffnet werden. Sehr selten ritzen
Schnitte die Halswirbelsäule an – ein Befund, der eher für eine
Fremdeinwirkung sprechen soll.
Abb. 1: Halsschnitt
mit Probierschnitten. Suizid eines 46-jährigen Depressiven.
Probierschnitte
am Hals Oberflächliche Hautschnitte, die
parallel zum Hauptschnitt verlaufen oder ineinander übergehen
(z Abb. 1). Verletzungen am Hals im Sinne von Probierschnitten kommen
sehr selten auch bei Tötungsdelikten vor.
Probierschnitte
in anderen Körperregionen Zusätzlich können
Probierschnitte auch in anderen Regionen vorhanden sein, z. B. an der
Stirn, am Rippenbogen, an Armen und Beinen. Todesursächlich,
teils auch in Kombinationen, sind:
Verbluten:
Der Blutverlust aus der A.
carotis, ihren Ästen und aus den Venen steht bei derartigen Fällen fast
immer im Vordergrund.
Blutaspiration: Voraussetzung
ist, dass der Kehlkopf eröffnet wurde.
pulmonale Luftembolie: Dazu
kommt es v. a. bei Verletzung der V. jugularis aufgrund des negativen
Venendrucks im Halsbereich.
Stiche Stichwunden
werden durch senkrechte oder schräge Einwirkung von Stichwerkzeugen auf
die Körperoberfläche verursacht. Die Klingen der Werkzeuge oder
klingenähnliche Gegenstände müssen über eine Spitze
verfügen. Es entsteht ein Stichkanal, der die Haut, die Unterhaut sowie
die darunter liegenden Weichteile, häufig auch die Organe verletzt und
auf Knochen enden kann. Stichverletzungen sind bis zum Beweis des
Gegenteils primär immer als lebensgefährlich anzusehen, insbesondere
wenn Körperhöhlen eröffnet sein könnten. Stichwunden werden vor allem
durch Fremdeinwirkung verursacht. Im Rahmen von Selbstbeibringungen
sind sie selten zu beobachten.
Äußere Wundmerkmale
Wundränder:
glatt und ohne Schürfungen. Die
Hautwunde ist oft länger als die größte Breite der Klinge. Dazu kommt
es, weil bei jedem Stich auch eine mehr oder weniger große schneidende
Komponente auftritt, v.a. beim Halsschnitt mit Probierschnitten. (Abb.
1) Herausziehen der Klinge. Wenn die Klinge bis zum Anschlag in den
Körper gestochen wird, kann durch das Heft an den Wundrändern ein
Hämatom entstehen.
Wundformen: Die Wunden sind oft
spaltförmig, je nach Relation zu den Spaltlinien tritt ein Klaffen auf.
Wenn eine Klinge nach dem Einstechen im Körper um ihre Längsachse etwas
gedreht wird, kann beim Herausziehen eine zweite Wunde entstehen, die
mit der Einstichwunde einen Wundwinkel gemeinsam hat. Die beiden Wunden
bilden eine V-Form, auch als „Schwalbenschwanz“ bezeichnet
Abb. 2: Stichwunden,
eine in Form eines „Schwalbenschwanzes“. Tatwerkzeug: großes Messer.
32-Jährige vom Ehemann getötet.
Wundwinkel:
beidseits spitz. Hat der Klingenrücken eine Dicke von . 3
mm, kann der durch den Klingenrücken verursachteWundwinkel rundlich
sein oder sogar den Querschnitt des Klingenrückens wiedergeben.
Innere Wundmerkmale
Wundränder:
völlig glatt
Sondierbarkeit: Stichkanäle
können bis in die Tiefe der Muskulatur oder in die Brust- oder
Bauchhöhle, sehr selten in die Schädelhöhle reichen. Da die Haut dem
Werkzeug infolge großer
Zusammenfassung
Schnitt- und Stichwunden unterscheiden sich vor allem durch das Verhältnis der Länge der Hautwunde zur größten sondierbaren Wundtiefe
Schnittwunden werden gehäuft selbst beigebracht.
„Pulsaderschnitte“ führen nur in einzelnen Fällen zum Tod durch Verbluten.
Stichverletzungen sind primär zunächst immer als lebensgefährlich anzusehen, insbesondere wenn Körperhöhlen eröffnet sein könnten.