5. Systematische Befundung der Seitaufnahme
Untersuchungsvolumen
Es ist darauf zu achten, dass die gesamte HWS einschließlich der Deckplatte
des ersten Brustwirbelkörpers abgebildet ist. Ist diese nicht beurteilbar,
sollten weitere Aufnahmen erfolgen: Entweder eine erneute Aufnahme mit stärker
nach kaudal gezogenen Armen, oder eine Schwimmeraufnahme (oder ein CT).
Alignement-Linien
Zuerst sollte das Alignement der Wirbelkörper überprüft werden, um traumatische Gefügestörungen auszuschließen.
Zu beurteilen sind drei Konturlinien, die harmonische und ununterbrochene Kurven zeigen sollten.
–Linie 1 (rot): entlang der Vorderkanten der Wirbelkörper
–Linie 2 (blau): entlang der Hinterkanten der Wirbelkörper
–Linie 3 (grün): entlang der Basen der Dornfortsätze (Spinolaminarlinie)
Die normale weichbogige Lordose der HWS kann verloren gehen, wenn der Patient eine Orthese
(Stiff Neck) trägt oder einen posttraumatischen Muskelhartspann aufweist.
Die Spinolaminarlinie zeigt manchmal einen geringen Versatz auf Höhe des Axis, insbesondere bei Kindern.
Dieser Versatz sollte 2 mm nicht überschreiten.
Stufen oder Knicke der Alignement-Linien weisen auf eine Fraktur oder eine Bandruptur hin.
Allerdings kann eine Arthrose der kleinen Wirbelgelenke zu Subluxationen führen, die manchmal
von traumatischen Subluxationen nicht zu unterscheiden sind. Auch werden segmentale Aufhebungen
der physiologischen HWS-Lordose als Normalbefund bei bis zu 20-40 % der Normalbevölkerung
beschrieben (Weir DC. Roentgenographic signs of cervical injury. Clin. Orthopaed. 109:9-17, 1975).
Deshalb sollten Störungen der Lordose nur mit viel Vorsicht bewertet werden.
Prävertebraler Weichteilschatten
Die Breite des Weichteilschattens entlang der Vorderkanten der Wirbelkörper sollte folgende
Werte nicht überschreiten:
–auf Höhe von HWK 2 - 4: 7 mm
–auf Höhe von HWK 5 - 7: 22 mm bei Erwachsenen, 14 mm bei Kindern < jahren.="Jahren."
Eine Verbreiterung des Weichteilschattens kann durch ein prävertebrales Hämatom bedingt sein, das mit
schwerwiegenden Verletzungen assoziiert ist. Allerdings weisen nur ca. 50 % der Patienten mit
Frakturen der HWS ein prävertebrales Hämatom auf. Außerdem tritt dieses Hämatom häufig nicht
unmittelbar posttraumatisch, sondern erst im weiteren Verlauf auf. Auch können ein Valsalva-Manöver
des Patienten oder eine Aufnahme in Exspiration eine Verbreiterung des prävertebralen Weichteilschattens
vortäuschen.
Morphologie der Wirbelkörper
Die Wirbelkörper unterhalb des Axis sollten quadratisch oder rechteckig sein. Die Vorder- und
Hinterkanten der Wirbelkörper müssen etwa identische Höhen aufweisen. Allerdings sind altersabhängige
Veränderungen häufig. Die Ausbildung von Spondylophyten und die Wirkung der Bandscheibendegeneration
könnten die Form der Wirbelkörper, insbesondere der Vorderkanten, verändern.
Die Konturen der Wirbelkörper sollten keine Unterbrechungen aufweisen. Auch kleine ausgerissene
Knochenfragmente können Ausdruck einer für die Stabilität bedeutsamen Bandläsion sein.
Häufig werden allerdings Knochenfragmente vorgetäuscht durch Verkalkungen des vorderen Längsbandes,
Spondylophyten oder nicht-fusionierte Knochenkerne (Wirbelkörperringapophysen).
Die Facetten der Wirbelkörper sollten parallel stehen.
Die Wirbelkörperspongiosa sollte auf frakturverdächtige Aufhellungslinien oder Verdichtungen durch gestauchte
Knochenbälkchen aufweisen. Auch die Konturen der Dornfortsätze sind auf Unversehrtheit zu prüfen.
Dornfortsätze
Eine abnorm weite interspinöse Distanz (> 50 % der angrenzenden Segmente) weist auf eine Luxation hin.
Bandscheibenräume
Die Bandscheibenräume sollten eine etwa einheitliche Höhe aufweisen. Häufig findet sich eine geringe
kontinuierliche Zunahme der Bandscheibenhöhen von kranial nach kaudal, mit Maximum im Segment HWK 6/7.
Eine Aufweitung eines Bandscheibenfaches kann Ausdruck einer schwerwiegenden Extensionsverletzung sein.
Dens axis:
Die Alignement-Linien entlang der Wirbelkörpervorder- und -hinterkanten sollten sich in den Vorder-
und Hinterrand des Dens fortsetzen, Vorder- und Hinterrand des Axiskörpers also mit dem Dens eine
kontinuierliche Linie bilden.
Der vordere Atlasbogen erscheint auf Seitaufnahmen oval oder ringförmig. Der Dens sollte diesem Oval eng
anliegen.
Der normale Abstand zwischen Densvorderfläche und Rückfläche des vorderen Atlasringes (Atlantodentale Distanz)
sollte bei Erwachsenen 3 mm, bei Kindern 5 mm (aufgrund des noch lockereren Bandapparates) nicht überschreiten.
Eine Erweiterung der atlantodentalen Distanz weist auf eine Ruptur des Ligamentum transversum atlantis hin.
Die Distanz zwischen der Densspitze und dem Basion (dem Vorderrand des Foramen magnum sollte maximal 12 mm
betragen. Die Spitze des Clivus schneidet normalerweise die Densspitze an der anterioren Drittelgrenze.
Der Harris-Ring: Die Seitaufnahme zeigt einen weißen Ring, der sich auf den Atlaskörper und die Densbasis projiziert. Dieser Ring ist an seiner Basis (bei 5 - 7 Uhr) oft physiologisch unterbrochen. Eine Unterbrechung an anderer Stelle weckt den Verdacht auf eine Fraktur der Densbasis.
Der Dens axis sollte keine frakturverdächtigen Unterbrechungen oder Verwerfungen seiner Kontur ausweisen.